Samstag, 24. Januar 2009
 
Verletzte Tiger bleiben gefährlich PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 6. Januar 2009

Zu Neujahr fiel mit Kilinochchi die „Hauptstadt“ der separatistischen Tamil Tigers in die Hände der srilankischen Armee. Präsident Mahinda Rajapakse feierte den Einzug seiner Truppen als Anfang vom Ende der LTTE und appellierte theatralisch an die Gegner, die Waffen zu strecken. Er weiss, dass sie seiner Aufforderung nicht Folge leisten. Kurzfristig will er auf den Krieg nicht verzichten.

Ein Jahr nachdem die Regierung den Waffenstillstand aufgekündigt hat, um das Problem der tamilischen Separatisten militärisch zu lösen, hat sie damit einen wichtigen Etappensieg errungen. Aber nicht mehr als das. Denn die Geisterstadt, die den erschöpften Soldaten in die Hände fiel, hat wenig mehr als symbolischen Charakter. Das Oberkommando der LTTE ist längst in sicheren Bunkern stationiert. Weder nennenswerte Waffendepots noch Dokumente haben die Rebellen zurückgelassen, denn sie hatten ausreichend Zeit, den geordneten Rückzug vorzubereiten. Reporter, die wenige Tage nach der Einnahme der Stadt eingeflogen wurden, berichten, dass nach dem monatelangen Bombardement und Artilleriebeschuss kein Dach mehr intakt sei, keines der wichtigen Gebäude mehr stehe. Das Friedenszentrum, wo die Kommandanten ihre Gäste oder Journalisten zum Interview empfingen, sei verwüstet.

Kein Zweifel, die LTTE ist ausgeblutet und – nicht zuletzt dank Indiens Patrouillenbooten - vom Nachschub zu Land und zu Wasser abgeschnitten. Gleichzeitig hat die Armee massiv aufgerüstet. Doch während der mehr als viermonatigen Belagerung von Kilinochchi hat sie hunderte Soldaten verloren. Der Einsatz von Minderjährigen ist ein starkes Indiz dafür, dass der Kampf auch den Regierungstruppen an die Substanz geht. Eine weitere Schlacht um den strategisch wichtigen Elefantenpass, wo sich die Militärs schon wiederholt blutige Köpfe holten, kann zwar dank militärischer Überlegenheit letztlich mit einem Sieg enden, doch der zu erwartende Blutzoll ist hoch.

Als nächstes Ziel hat Rajapakse die Erstürmung von Muluaitivu, der letzten Bastion der LTTE ausgerufen. Der Oberkommandierende Velupillai Prabakharan, der vermutlich von einem unterirdischen Bunker aus seine Befehle gibt, soll gefasst werden. Doch ihn schützen nicht nur mehrere Verteidigungslinien, sondern auch 200.000 Zivilisten, die ohne Massaker schwerlich aus dem Kampfgebiet zu kriegen sind. Das verhindern die Tigers aber auch die Angst vor der Armee. Denn nach zehn Jahren des Zusammenlebens mit der LTTE müssen sie mit einer Behandlung als Feinde rechnen. Die Internierung von Flüchtlingen aus dem Kampfgebiet beweist, dass diese Furcht nicht unbegründet ist.

Statt die Armee in einen weiteren verlustreichen Stellungskrieg um Muluaitivu, und den Elefantenpass zu hetzen, sollte Präsident Mahinda Rajapakse seine vagen Versprechungen einer politischen Lösung konkret machen und den Erzfeind an den Verhandlungstisch bitten. In der Schlacht um Kilinochchi sind die Gegner einander wie zwei reguläre Armeen im Grabenkrieg gegenüber gestanden. Damit ist es bald vorbei. Je weniger feste Positionen die LTTE zu verteidigen hat, desto mehr wird sie wieder zur Guerilla. Und eine Guerilla kann man nicht militärisch besiegen kann, solange sie den Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Auch an der Ostküste, wo die Tigers schon vor zwei Jahren ihre festen Stellungen aufgeben mussten, sind die untergetauchten Rebellen in der Lage, eine echte Konsolidierung zu verhindern. Und Selbstmordattentäter mit tödlichen Ladungen können jederzeit fast überall zuschlagen – zuletzt in der Luftwaffenbasis mitten im Zentrum der Hauptstadt Colombo. So sorgen sie dafür, dass das ruhige Klima, das Investoren und Touristen anziehen soll, sich nicht einstellt. Schon jetzt trifft die Wirtschaftskrise aus diesem Grund Sri Lanka härter als benachbarte Länder. Die Regierung – das haben einige Politiker sogar deutlich ausgesprochen – braucht den Krieg, um von der Wirtschaftsmisere abzulenken.

Zu den Herzen der tamilischen Zivilbevölkerung, die die singhalesischen Militärs als repressive Besatzungsarmee erlebt, hat die Regierung keinen Zugang gefunden. Im Gegenteil: die Schikanen wurden verstärkt. Tamilische Zivilisten müssen sich wie Verbrecher registrieren lassen und werden selbst in Colombo auf der Straße ständig gefilzt. Ein Gesetz, das den Gebrauch der tamilischen Sprache vor Gericht und allen Behörden garantiert, bleibt zahnlos, weil es für die nötige personelle Aufstockung der Ämter kein Budget gibt. Aus dieser permanenten Diskriminierung der Minderheit von etwa 3,5 Millionen Menschen bezieht die LTTE immer wieder neue Legitimität für ihren Kampf. Die geplanten Regionalwahlen samt Installation einer tamilischen Marionettenregierung in der Nordprovinz dienen vielleicht dem Konsum der singhalesisch nationalistischen Klientel, werden aber schwerlich Frieden und Stabilität in eine von der singhalesischen Armee besetze Region bringen.

Echten Frieden kann es nur geben, wenn den Tamilen glaubwürdig vermittelt wird, dass sie keine Bürger zweiter Klasse sind. Das würde auch der Reputation von Sri Lankas Regierung im Ausland gut tun. Die Armee steht wegen Flächenbombardements und Übergriffen gegen tamilische Zivilisten schon lange unter Beobachtung. Jüngste Berichte über den Einsatz international geächteter Streubomben und die Rekrutierung Minderjähriger tragen nicht zur Imagepolitur bei.

Aber auch aus dem Ausland kommt keine Initiative, den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen. Indien, das den grössten Einfluss auf die Regierung in Colombo hat, ist nach den Terroranschlägen von Mumbai wie gelähmt. Für Barack Obama wird Sri Lanka sicher keine Priorität genießen. Und die EU schneidet zwar Rajapakse und seine Minister wegen der zunehmenden Menschenrechtsverletzungen, belässt aber die LTTE auf der Terroristenliste und nimmt sich damit die Möglichkeit, sich als Vermittler einschalten. 




weiter >